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Sander, H., 1779. Nachricht vom Rhinoceros in Versailles. Naturforscher 13: 1-10

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Location: Captive - Europe
Subject: Text as original
Species: Indian Rhino


Original text on this topic:
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Da ich im Junius und Anfang des Julius in Versailles war, machte ich mir oft am frühen Morgen das kostbare Vergnügen, im Königlichen Park am Canal hinunter in den Alleen reine Luft zu athmen, und zur Menagerie hinabzuspazieren. Man hat da die ganze Pracht der französischen Bildhauery, der Baukunst, der herrlichen Gärten, und die Majestät der Natur um sich herum. Ein tausendfaches Concert der Vögel tönt von der Zweigen herab. Lustschiffe spielen im Wasser, Feldhühner laufen im Weg, und im Thiergarten sind
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die grösten, die schönsten, die grausamsten Thiere aus Africa, Asia und America. Menschen sieht man des Morgens in dieser schönen Gegend nicht viel, der Franzos fängt den Tag nicht frühe an, sie sind lieber beständig krank, und liegen dem Docktor in den Armen, als daß sie sich vom Tourbillon der grossen Welt losmachen und der Natur folgen wollten - für mich war es immer ein angenehmer Anblick, wann ich gerade in der Menagerie ankam, wie man die fremden Thiere fütterte. Das NASHORN zog besonders meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich habe so viele Nachrichten davon gelesen, und bin doch noch über viele Dinge nicht gewiß - Auch konnt ich mich auf keine Zeichnung besinnen, die so recht die Statur dieses Thiers ausdruckte. Ich will es also kurz erzählen, was ich selbst mehr als einmal untersucht, beobachtet, und erkundigt habe.
Das Nashorn in Versailles ist aus Bengalen, ist bereits 10 Jahr alt, kam im zweiten Jahr hieher, ist ein Männchen, und braucht jeden Tag zu seiner Ernährung zweihundert Pfund. Man füttert ihm Heu, Gras, Haber, Kleyen, Mehl. Es wohnt in einem eigenen Haus, liegt aber des Sommers fast beständig in einer schlammichten Pfütze, ganz versunken, und erschreckt, wann es nach vielen Stossen und Treiben endlich heraufsteigt, jeden, der es noch nicht gesehen hat. Das Thier hat hier weit mehr Freyheit, als es unter den Händen derer hat, die etwa so ein Thier in der Welt herumführen. Man sieht es mehr, freier, ungebundener würken. Ausser dem gewöhnlichen Deputat, das ihm ausgeworfen ist, bekommt es
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noch alle Tage sehr viel von den Frenden, und sein Hof ist groß genug, daß es ohne Einschränkung herumlaufen kann, so oft es sein schlammichtes Wasser verlassen mag.
Die Zähne
Wann ich sagen woll, was ich, ohnen einzubilden, ohne zu suchen, was ich vorher wußte, gesehen habe, so hat das Thier gar keine Zähne, die sich zählen, und auf die gewöhnliche Art benennen liessen. Schneidezähne hat es gewiß keine, ich habe auch nicht die geringste Spur gesehen, aus der ich hätte schliessen können daß sie ihm ausgefallen wären. Man sieht weder oben noch unten Zähne da, wo die Schneidezähne stehen müsten, sondern an den Seiten, da wo sonst bey andern Thiere die Hundszähne stehen, nicht gerade vorne, sondern schon ziemlich weit in den Kinnbacken hinein, steht auf jeder Seite ein langes Stück von Knochen herab, das für Einen Zahn zu lang ist, und doch keine Theilungen in mehrere hat. Ritzen sieht man darin, das sind aber keine Zwischenräume, keine Grenzlinien einzelner Zähne, sondern sie sind in der Substanz des Knochens selber, wiewohl sie nicht tief hineingehn. Weit hinten sieht man in beiden Kinnladen, oben und unten wieder so ein eckigtes Knochenstück, aber ohne daß man die einzelnen Zähne daran zählen könnte - Die Anatomie muß es entscheiden, ob jedes von diesen Knochenstücken würklich aus mehreren wahren getheilten Zähnen besteht - Wann Pallas und Schreber würklich Kinnladen von Rhinoceroten haben, in denen Zahnhöhlen befindlich sind, so will ich so grossen Beobachtern nicht widersprechen,
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aber ohne dergleichen Beweise in Händen zu haben, wird man im Mund eines lebenden Nashorns niemals Zähne zählen können. Die Natur ist ohne Zweifel nicht an einzelne Zähne gebunden, sie hat nur an diesem Glied so viele Verschiedenheiten aufgestellt, daß auch diese Nuance nicht unwahrscheinlich wäre. Zu den Belluis gehört es gewiß nicht, wann es gleich in vielen Sitten und Gewohnheiten mit dem Schwein übereinstimmt.
Die Zunge
In der untern Kinnlade ist zwischen den zwei Zähnen eine weiche röthliche Erhöhung von Fleisch, hinter dieser liegt die Zunge - keine rauhe Hechel, wie Müller sagt - sondern ein sehr weisser ziemlich glatter, fleischigter Lappen, an dem man der Mitte, wann das Thier die Zunge herausstreckt, eine kleine Spitze merken kann. Das Thier muß einen sehr starken Geschmack haben. Die Zunge an sich ist groß, breit, und hat nicht die geringste Rauhigkeit, weder Stacheln, noch Spitzen. Die Kinnladen sind sehr breit, und die ganze Haut, die aussen voll Unebenheiten ist, ist inwendig sehr weich, und ausserordentlich empflindlich.
Die Lippen
Sie sind breit, rundlicht, oben schorficht, unten voll runder harter Knoten. Die untre ist breiter, die obre ist ausgeschnitten, und hat in der Mitte, eben so wie der Elephant an seinem Rüssel, eine Art von Finger, eine sehr empfindliche Verlängerung, die ausgestreckt und zurückgezogen werden kann. Das Thier faszt damit an, betastet, untersucht alles damit -
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der Finger ist der Sitz des feinsten Gefühls. Wegen der dicken haut ist vielleicht, ausser den Zeugungstheilen, am ganzen Körper keine Stelle, wo das Thier so eine scharfe Empfindung hat.
Die Nasenlöcher
Sie stehn drei Fingerbreit von der Spitze der Lippen weg, stellen oben einen halben Cirkul vor, und haben inwendig eine sehr weiche glatte empfindliche Haut. Doch ließ sich das Thier in der Nase noch eher befühlen, als am Finger der obern Lefze. Es kann die Nasenlöcher gewaltig aufblasen, und wieder sinken lassen.
Das Horn
Was hier Horn heissen soll, ist eine grosse knochenharte mit keiner Haut überzogene Stelle, länger, als meine Spanne, und über eine Spanne breit. Diese verhärtete Stellen fiengen in der Breite von zwei Fingern über der Oberlefze, über dem Museau an. Hinten war das Horn etwa drei Fingerbreit hoch. Dann kam eine Vertiefung, die sich nach dem Augen auf beiden Seiten hinzog. Ueber dieser Höle war wieder eine Reihe von Knoten, die sich hinaufzog bis zwischen die Ohren. Zwei voin diesen Knoten waren besonders groß. Neben dieser Reihe war wieder auf jeder seite unter den Ohren eine hornartige Platte, eben so, wie die über der Nase, nur nicht völlig so groß. Diese Stelle auf der linken Hand sah blutroth, weil das Thier die Knochen an den hölzernen Pfosten, zwischen denen es angebunden wird, zerstossen hat - Man kann nicht bestimmen, wie viele Hörner hier entstehen sollten. Auch ist dies Thier wenigstens keine Bestätigung
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der Meynung, daß das Horn des Nasshorns eine Gewebe von ineinander gefilzten Haaren sey. Wann man diesen Kopf genau gesehen hat, glaubt man schwerlich, daß es blos mit der Haut zusammenhänge. Man konnte auch weder oben, noch unten, noch an den Seiten irgend eine Spitze von Haaren sehen, oder losmachen. Klopfte man mit einem Schlüssel, mit einem Messer daran, so tönte es, wie wann man auf Knochen schlägt, das Thier litt es von mir geduldig, und fühlte mit seinem digito missili, extensili mir an der Hand. - Indessen ist es möglich, daß die Gefangenschaft, oder die träge und bequeme Ernährung dieses Thiers, die Bildung dieser Theile in Unordnung gebracht hat. Vor einigen Jahren sollte ein Rhinoceros, das 2 Hörner hatte, und lange in Teutschland herum-geführt worden war, bei Mannheim auf dem Rhein fahren, das Boot schlug um, und das thier ersoff im Wasser. Man hat es aufgefischt, und für das sehenswürdige Kabinet des Churfürsten ausgestopft. M. Collini bewahrt ausser diesen 2 Hörnern, denen man auch keinen Ursprung aus Harren zutrauen sollte, noch 2 andre aneinander gewachsenen Hörner von diesem Thier, und zeigte mir unten noch die Cellen, wodurch diese knochenharte Masse mit dem Nasenbein zusammengehangen hat. Doch das alles würde man an einem Thier in der Wildnis viel richtiger beobachten können, als an unsern eingesperrten und ausgestopften Exemplaren.
Die Augen
Die Natur gab allen grossen Thieren sehr mittelmäßige Augen. Auch die Augen des Nashorns
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sind klein, schwarzbraun, stehn ziemlich an den Seiten des Kopfs. Ihr untres Augenlied sieht man kaum. Sie sind nicht grösser, als Ochsenaugen. - Das Glied würkt durch seine innre Strucktur nicht durch seine äußre Grösse.
Die Ohren
Die Ohren stehn 2 Schuh hoch von den Nasenlöchern, sind eine Spanne lang, laufen ausgespitzt zu, sind aussen mit lichtbraunen Haaren besetzt.
Die Haare
An den Ohren waren haare, und sonst nirgends als am Schwanz, und auch da sassen nur unten, fast wie am Ende des Schwanzes des esels, seine schwarzglänzende fingerlange Haare. Sie Sitzen sehr fest, haben starke Würzeln, das merkte ich, da ich ihm etliche ausriß. Man konnte lange zupfen, ehe es das Thier zu merken schien. Die Haare sind bei weitem nicht so dick und grob, wie beim Elephanten in Versailles, die wie dünner Eisendrat aussehn, aber die vom Schwanz des Nashorns sind feiner, dünner, man würde Mühe haben, mit blossen Augen sie von allen Pferdehaaren zu unterscheiden. Vom Hippopotamus hab ich nur ein einziges Haarbüschel - sie sind alle blaßgelblich, kurz, dünn und schwach. Die Haare, die an den Baarden des Wallfisches sitzen, sind steif, borstenartig, doch - wenigstens die von dem jungen Wallfisch, die ich habe, nicht so grob, wie die Borsten unsrer und der wilden Schweine. Beim Nashorn konnt ich auch mit dem Glas am Unterleib nicht ein einziges Haar entdecken. Man versicherte mich
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auch, daß gewiß keine da wären. Sie werden vermuthlich durch das ewige Liegen und Reiben abgestossen.
Die Füsse
Die Füsse sind fast ganz gleich. Man sieht sie nie ganz, weil sie in der Haut stecken. An den Vorder- und Hinterfüssen sind drei Zeen, und an diesen sitzen schwarze Klauen. Der hinterste Theil am Fuß hat blos eine dicke Haut, und steht nicht auf der Erde auf.
Der Schwanz
Der Schwanz reicht bis an die Kehle des Thiers, ist etwas über 2 Schuh lang, ist schwarz, uneben, unten flockicht, fällt dast immer ruhig zwischen den Füssen des Thier hinab.
Die Ruthe
Man sieht sie, wenn man sich bückt, und zwischen den Hinterfüssen durchschaut. Wann sie anschwillt, und sich streckt, ist sie drei Schuh lang, schleift auf der erde, ist hinterwärts gerichtet, die Vorhaut soll gerade so aussehen, wie das Mundstück an einem Jagdhorn. Auch an der Wurzel dieses Gliedes sitzen keine Haare.
Die Falten
Die Haut hat zwey grosse Falten am Hals, die fallen unter den kopf. Ferner zwey grosse Querfalten über den ganzen Leib, eine davon ist vorne an der Brust, dann hat der Rücken eine Vertiefung - Sodann lauft anderthalb Spannen vor dem Anfang des Schwanzes die andre grosse Querfalte. Endlich sind noch hinten auf den Schenkeln zwey Falten, die von den obern zwey entstehn, und bis zum Schwanz herangehn.
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Das Maas
Das Thier hat eine Länge von 12 Schuh. Vorne am Kopf ist es 4 Schuh hoch, der Kopf hängt aber vorne herab. Hinten ist die gröste Höhe.
Die Sitten
Sobald es im Stall an vier Füssen angebunden ist, ist es zornig. Der Verlust der Freiheit ist ihm sehr empfindlich. Sobald man ihm aber erlaubt, im Hof herumzugehn, und im Wasser zu liegen, ist es still, beschädiht niemanden, und verderbt nichts. Es legt sich auch am Tage, und besonders, nachdem es gefressen hat, nieder. Man hört viele starke langanhaltende Winde, die hinten herausfahren, doch ohne einen merklichen Gestank. Wie das Thier in Versailles ankam, fand man, daß ihm die Haut aufsprang, wann es in der Sonne ging. Die Ritzen wurden so groß, daß man das rohe Fleisch sehen konnte, das Blut lief stark neraus, und das Thier wurde sehr mager. Man fieng deswegen an, die Haut des Nashorns mit einem in Oel getunkten Schwamm zu schmieren. Dadurch ward die Haut weich, biegsam, geschmeidig. Scheint es nicht, als wann die Natur selber dem Nashorn deswegen diesen Trieb, in schmutzigem Wasser zu baden, gegeben habe, damit die Haut, die so dick und hart ist, daß ich meinen Stock darauf verschlug, in seinem heissen Vaterland ihre Beweglichkeit und Geschmeidigkeit nicht verlieren sollte? In Versailles ward man endlich des theuren Einschmieren mit Oel überdrüßig. Man grub also eine weite und tiefe Grube im Hof, gerade vor der Thüre, wodurch das thier aus seinem Haus herausgeht. Diese Grube wird nun beständig voll Wasser gehalten, [10]
und das Thier legt sich fast den ganzen Tag ganz unters Wasser, streckt nur die Nase und den Mund in die Höhe. In dem trüben Wasser ist es so recht à son aise - Sobald es im Winter anfängt zu frieren, muß es diese Glückseligkeit vergessen. Man macht alsdann den Stall wohl zu, wärmt ihm ein, das kostet alle Winter drey Metz Holz, und nun wird es wieder alle Tage mit Oel eingerieben. Und aus dem eingewärmten Stall geht es nicht mehr heraus, bis im Frühjahr.
Der Schlaf
Bas Nashorn schläft Nachts, und erwacht nach 5, 6 Stunden wieder. Wann es sich niederlgen will, biegt es zuerst den linken Hinterfuß unter sich, zieht dann den rechten auch unter den Bauch, und legt endlich die Vorderfüsse neben sich.
Die Stimme
Der Ton des Rhinoceros ist ein starkes aber taubes Zischen. Vom Grunzen der Schweine ist diese Stimme mehr, als sich mit Worten sagen läßt, unterschieden. Die Luft fährt stoßweise aus der weiten Kehle heraus.

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